Filmprogramm
Die Filmprogramme des EMAF bieten auch in diesem Jahr einen breiten Überblick über die experimentelle Filmkunst – von aktuellen Kurz- und Langfilmen bis hin zu historischen Arbeiten und Expanded Cinema. Zahlreiche Künstler*innen werden anwesend sein, um ihre Arbeiten vorzustellen und zu diskutieren. Zu sehen sind rund 100 Filme und Filmperformances aus aller Welt.
Die Filmprogramme des EMAF entstehen in Zusammenarbeit mit internationalen Kurator*innen, Künstler*innen und Theoretiker*innen, die als Teil der Auswahlkommission die Beiträge für Wettbewerbs- und Langfilmprogramme auswählen oder eingeladen werden, eigene thematische Programme und Reihen zu entwickeln.
Internationaler Wettbewerb und Langfilme
Zahlreiche Filme im Internationalen Wettbewerb und der Langfilmauswahl drehen sich um Schichtungen von Raum und Zeit und die Frage, wie wir aus der Vergangenheit für die Gegenwart lernen. Sie rekonstruieren historische Ereignisse, imaginieren alternative Geschichtsverläufe und lesen aus den Erinnerungen Anderer mögliche Wege in die Zukunft ab. Das Verhältnis zu Land und Territorium stellt einen weiteren Schwerpunkt dar. Dokumentarisch und experimentell erzählen die Arbeiten von Ursprüngen und Orientierung, von Vertreibung und Migration sowie vom Wohnen und Bleiben.
Mit Filmen von: Basel Adra/Hamdan Balla/Yuval Abraham/Rachel Szor, Tolia Astakhishvili/James Richards, Boris Dewjatkin, Carl Elsaesser, Ismaël Iken, Mira Klug/Johannes Gierlinger, Vika Kirchenbauer, Alexis Kyle Mitchell, Monica Maria Moraru, OJOBOCA, Alee Peoples, Peng Zuqiang, Leonardo Pirondi, Martyna Ratnik, Messaline Raverdy, Steve Reinke, Ann Carolin Renninger, Miko Revereza, Margaret Salmon/Maria Fusco, Reiji Saito, Clare Samuel, Deniz Şimşek, Jordan Wong, Xin Shen, Yu Wang, Micah Weber, Sabrina Zhao und Chris Zhongtian Yuan.
Die folgenden Künstler*innen haben ihre Arbeiten in Solidarität mit Strike Germany zurückgezogen: Razan AlSalah, Onyeka Igwe, Sofia Theodore-Pierce, Amina Ross, Maryam Tafakory.
Artist in Focus
Wir freuen uns, Phil Collins als diesjährigen Artist in Focus zu präsentieren. Collins ist international bekannt für seine sozial engagierte Praxis an den Schnittstellen von Kunst, Politik und Popkultur. Er nutzt neben Film, Fotografie und Installation auch performative Situationen und Live-Events, um Aspekte gelebter Erfahrung und Stimmen, die häufig nicht beachtet oder unterdrückt werden, in den Vordergrund zu stellen.
In einem neu beauftragten Essay beschreibt Dominic Paterson, wie Collins „normative Medienbilder strategisch reproduziert, um diese zu stören (oder zu queeren). Seine Arbeit erkennt die Macht dieser Bilder durch die Wiederholung ihrer stark determinierenden Effekte an – eine Eigenschaft, die in der Arbeit selbst immer performativ ist: immer eine Sache von auffälligen Gesten, Demonstrationen, inszenierten Posen und Wiederholungen. Diese demonstrativen und performativen Aspekte verweisen auf so unterschiedliche Vorbilder wie Harun Farocki und Alex Bag. Collins’ Arbeit der letzten Jahre widmet sich jedoch nicht nur der Kritik und Subversion bestehender Framings, sondern vermehrt auch der kollektiven Herstellung von Bedingungen, unter denen Gemeinschaben die Räume, in denen sie als sie selbst erscheinen und auftreten, auch selbst gestalten können.“
Feelers, Sensors
Curated by Jamie Crewe
In Tell My Horse: Voodoo and Life in Haiti and Jamaica (1938) berichtet die amerikanische Autorin, Anthropologin und Filmemacherin Zora Neale Hurston von Haitianer*innen, die von Guedé „geritten“ werden, einem „Gott des Spotts“. Durch ihren Mund sagt Guedé: „Sag es meinem Pferd“, und versteigt sich zu spektakulären Beschimpfungen und Handlungen. Seine Pferde äußern Flüche, diffamieren ihre Herrscher, tänzeln und galoppieren, bespritzen ihre Augen mit Rum oder stürzen sich in den Tod. Als Sprachrohr ihres Gottes können sie Dinge sagen oder tun, zu denen sie ungeritten nicht in der Lage sind. Der Sprache beraubt finden Menschen oder Pferde – Geist oder Körper – andere Formen des Ausdrucks: kein Schweigen ist von Dauer.
Mit Filmen und Soundarbeiten von: Art Bears, Samuel Beckett, Tanya Syed, Don Taylor, Tran T. Kim-Trang, Sarah Pucill, Jazell Barbie Royale und Apichatpong Weerasethakul
Curated by Oraib Toukan
Ist dies wirklich der wunderbare palästinensische Dichter und Autor Mahmoud Alshaer, der fragt: „Sagt da mein eigener Mund: Gas, Mehl, Trinkwasser, Waschwasser, Kaffee, Kekse, Qasef, Zananah, Tayarah, Thunfisch, Bohnen, Tasse, Batterie, Internet, Verbinden, Trennen, Ofen, Feuer, Hefe, Salz, Zucker, Matratzen, Laken, Kissen, Teppich?“ Schmerz in Echtzeit übertragen. Command-Tab. Schweigen. Fühler, Sensoren–––––– von wo aus im Körper sollen wir das ergründen? Von dieser Erde aus, die das Leben lebenswert macht, meint Mahmoud Darwish. „Vom Zögern des April, dem Geruch von Brot in der Morgendämmerung … dem Beginn der Liebe, Moos auf einem Stein.“ Dieses Programm stellt das Herz als grundlegendes Sinnesorgan in den Vordergrund – ein Organ, dessen Aufgabe es ist, zu sehen und zu hören. Zu diesem Zweck werden Werke, die sich mit dem Leiden befassen, mit Werken kombiniert, die sich mit dem Verlangen auseinandersetzen. Letztlich werden beide als ein und dasselbe präsentiert.
Mit Filmen und Talks von: Dahaleez (Rahaf Al Batniji/Majdal Nateel/Salman Nawati), Pary El-Qalqili/Nahed Samour und Michel Khleifi
Curated by Anna Zett
Audiovisuelle Medien verknüpfen Punkte in der eigenen Imagination mit Punkten in der Imagination anderer Menschen. Das Netzwerk aus Wahrnehmungen, Narrativen und Symbolen, das dabei entsteht, ist ebenso wie das Gedächtnis im individuellen Gehirn kein realistisches Abbild der Wirklichkeit. Es ist eine eigene Wirklichkeit – ein sozialer Traum. Welche Rolle spiele ich als Zuschauer*in, wieviel Freiheit wird mir gegeben, ich an dem Prozess dieser Assoziation zu beteiligen? Was passiert mit mir im Moment des Empfangens, was lasse ich zu, was wehre ich ab? Das Programm begreift Filmemachen und Filmezeigen als eine partizipative, poetische Praxis, angetrieben vom Wunsch nach Verbindung und gestützt durch die Überzeugung, dass zwischen einzelnen Empfindungen und Wahrnehmungen immer wieder neu eine gemeinsame Wirklichkeit entsteht.
Mit Filmen und Performances von: Ester M. Bergsmark, Alice Brygo, Jesse Darling, Janine Jembere, Shambhavi Kaul, Anri Sala, Toni Serra, Sarnt Utamachote, Elisa Wendy/Wai Shing Lee und Gernot Wieland
SPECTRAL
Die Kooperation mit dem Analogfilmkollektiv LaborBerlin, die im vergangenen Jahr unter dem Titel SPECTRAL. Unburdened Recollections begann, wird auch in diesem Jahr fortgeführt. Das gemeinsame Projekt hat sich der Wiederaufführung historischer Expanded Cinema-Arbeiten verschrieben und präsentiert in diesem Jahr analoge Mehrfachprojektionen und Filmperformances aus den 1960er- und 70er-Jahren. Rekonstruiert wird ein Klassiker des Expanded Cinema von Malcolm Le Grice (kuratiert von Cinzia Nistico, Filmwerkplaats Rotterdam) sowie eine jüngst restaurierte Arbeit der niederländischen Künstlerin Babeth Mondini-VanLoo (kuratiert von Simona Monizza, Eye Filmmuseum Amsterdam). Im Rahmen eines Panels werden die beteiligten Künstlerinnen und Kuratorinnen über die Wiederaufführung und Archivierung von Live-Cinema sprechen und dabei auch ethische Fragen der Rekonstruktion historischer Werke thematisieren.
Preise und Jury Statements 2024
EMAF Award
EMAF Award: I Am Also Part of the Three Turns von Monica Maria Moraru
Die Jury vergibt den EMAF-Preis an I Am Also Part of the Three Turns von Monica Maria Moraru für die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Erdbebens von Bukarest in 1977 und den Versuch, diese von den politischen Behörden instrumentalisierte, historische “sogenannte” Naturkatastrophe neu zu schreiben. Der Film zeigt die scheinbare Stabilität von Ordnungen, seien es natürliche oder politische, um jene Kategorien und unser Verhältnis zu ihnen zu hinterfragen. Naturkatastrophen und politische Brüche sind im Film miteinander verwoben. Die Geschichte durchdringt die Bilder des Films durch ihre Stimmen, Objekte, Körper und Risse. Glastassen und -teller spiegeln die Zerbrechlichkeit dieser Systeme wider – die Zerbrechlichkeit des Bodens, auf dem wir stehen.
Lobende Erwähnung EMAF-Award: Belfi von Ismaël Iken
Die Jury möchte eine lobende Erwähnung für Belfi von Ismaël Iken aussprechen. Auf leicht spielerische Weise reagiert Belfi auf die Last der Zeit, der Wiederholung, der Redundanz und der Finanzialisierung der urbanen Landschaft. Indem er Brotkrümeln und dem unerreichbaren Geld folgt, stellt der Film die Frage nach dem Überleben in der Stadt und spielt mit den Illusionen und Versprechungen der wirtschaftlichen Mobilität. Belfi nimmt uns mit auf eine zyklische Reise durch die Jahreszeiten und Straßen und endet mit der Übergabe des unerreichbaren Schatzes.
Dialog Award
Dialog-Preis: The Cyan Garden von Peng Zugiang
Die Jury vergibt den Dialogpreis an The Cyan Garden von Peng Zugiang für seine eindringliche und faszinierende historische Archäologie der Klänge und Stimmen eines unterirdischen Radiosenders. Diese Ausgrabung von Stimmen der malaysischen Revolution lässt sowohl eine historische Intimität als auch die Geschichte des Intimen, wie es damals existierte, aufleben. All dies schafft eine affektive Beziehung zu diesem Moment, der die Grenzen des Radios mit seinen inhärenten Störungen und Spektralfrequenzen überschreitet.
Lobende Erwähnung Dialog-Preis: detours while speaking of monsters von Deniz Şimşek
Die Jury möchte den Film detours while speaking of monsters von Deniz Şimşek mit einer lobenden Erwähnung für den Dialogpreis auszeichnen. In dem Film wird die Landschaft zum Zeugen einer Gewaltgeschichte rund um den Van-See. Von den Tiefen des Seegrundes bis zur Geschichte eines Hubschrauberabsturzes, von den Mythen, die den Berg historisch bewohnen, bis zu den Erinnerungen an die Völkermorde an Armenier*innen und Kurd*innen. Die Landschaft beginnt, sich mit unserer gegenwärtigen anhaltenden Gewalt auseinanderzusetzen.
Medienkunstpreis des Verbands der deutschen Filmkritik
EMAF Medienkunst-Preis des Verbands der Deutschen Filmkritik (VDFK): Hey Sweat Pea von Alee Peoples
Wie das Gefühl beschreiben, dass ein gigantisches Nichts langsam alles auffrisst? Und wie dabei nicht selbst so abstrakt werden, dass man dem Nichts mit wenig Konkretem begegnet? Auf diese sehr allgemeine und doch dringliche Frage hat uns ein Film im Programm eine in besonderer Weise überzeugende filmische Antwort gegeben: Indem man zuhört, was die Mutter auf der Mailbox hinterlässt, wie sie ihr nach Nähe suchendes Sprechen in eine Einkaufsliste kleidet; indem man sich ansieht, was mit der Landschaft passiert, wie sie unter Baufolie verschwindet, unter Betonkrusten unsichtbar, hinter Zäunen zu Eigentum wird. Indem man die Unendliche Geschichte, die man Kindern und Erwachsenen erzählt, aus der Virtualität holt und sie auf die konkrete Welt überträgt. Und indem man selbst mit fast nichts, nur den Dingen, die zur Hand sind, die sichtbar erfasst oder hörend wahrgenommen werden können, virtuos und bescheiden, verspielt und insistierend, deprimiert lachend Filme macht.
Lobende Erwähnung EMAF Medienkunst-Preis des Verbands der Deutschen Filmkritik (VDFK): Der Wind nimmt die mit von Ann Carolin Renninger
Was man sehen kann: Ein wacher kindlicher Blick, den alles interessiert: Bärtierchen und Bäume, Feuer, Universum und Urknall: alles nimmt er wie es ist, alles ist wichtig. Ein altersweiser Blick auf Steine, der von ihren kristallinen Strukturen weiß und die zeitlichen Dimensionen ihrer Existenz zu ermessen sucht. Ein Kindheitsnachmittag, ein Menschenleben, ein Erdzeitalter. Die Gegenwart ist ein Moment sonnigen Glücks am gleichmütigen Meer, die Gegenwart ist eine Nachricht vom Krieg, die das Radio bringt. Unaufdringliche Beobachtungen in einem familiär-nachbarschaftlichen Universum, die sich zu etwas Großem fügen: ein Vermessen existentieller Dimensionen der Erfahr- und Vorstellbarkeit: vom mikroskopische kleinen zu den Weiten des Alls. Was man sehen kann, mit dem Kino, mit diesem Film: Für einen wundersamen Versuch, die Welt – und uns – ins Verhältnis zu setzen, vergeben wir eine lobende Erwähnung an Der Wind nimmt die mit von Ann Carolin Renninger.
Ausstellung
Unsere Sinne bilden die Grundlage dafür, wie wir uns in der Welt zurechtfinden. Sie sind die Schnittstelle zwischen unserem Inneren und der Außenwelt. Millionen von Nervenenden verbinden unser Gehirn mit einem sich ständig verändernden Strom von Sinneseindrücken, aus denen es die äußeren Reize zu einem kohärenten Bild der Welt und die inneren Reize zu einem Bild von uns selbst zusammensetzt. Diese Erfahrungen fühlen sich für jede*n von uns real an, doch sind diese nie objektiv zutreffend. Wir alle sind sensorisch einzigartig, unsere Wahrnehmung wird von unserer Denkweise beeinflusst, durch individuelle Emotionen und Erwartungen verzerrt.
Die künstlerischen Beiträge der Ausstellung Feelers, Sensors beschäftigen sich mit der Frage, welche Rolle die Sinneswahrnehmung für das menschliche und nicht menschliche Erleben der Welt einnimmt und in Zukunft einnehmen könnte, und auf welche Weise Technologien wie Künstliche Intelligenz oder „Wahrnehmende Maschinen“ den Zugang zu und die Interaktion mit unserer Umwelt und einander verändern.
Campus
Als wichtiger Treffpunkt für den künstlerischen Nachwuchs präsentiert der EMAF Campus aktuelle Projekte von Klassen führender europäischer Kunst und Filmhochschulen. In diesem Jahr sind Klassen aus Deutschland, Belgien, Norwegen und Spanien zu Gast und stellen eigens für das Festival entwickelte Ausstellungen und Filmscreenings vor.
Die Kunsthochschule für Medien Köln präsentiert anlässlich ihres 35 jährigen Bestehens eine breite Auswahl experimenteller Kurzfilme der letzten Jahrzehnte und zeigt studentische Produktionen unterschiedlicher medialer Formate: von der Web Serie zum Materialfilm, vom Found Footage Musikvideo zum autobiografischen Film.
Die Filmprogramme der Kunstakademie KASK aus Gent, die 2022 und 2023 von Masterstudierenden der Fachbereiche Film, Animation und Fotografie realisiert wurden, bewegen sich thematisch zwischen der Entfremdung von und dem Eintauchen in die eigene Lebenswelt.
Die Kabelvåg School of Moving Images aus Norwegen entwickelt unter dem Titel In the Belly of the Vacuum Cleaner ihre Ausstellung um das Bild des Staubsaugers, der, ähnlich wie unser Bewusstsein, die Umwelt in sich aufnimmt, sammelt und zu neuen (Un )Ordnungen zusammenführt.
Die gemeinsame Ausstellung von Universität Osnabrück und Universidad de la Laguna Tenerife zeigt mit BLACKBIRDS SINGING IN THE DARK Perspektiven einer jungen Generation, die durch die aktuelle Präsenz von Krisen, Kriegen, sozialen Ungerechtigkeiten und gesellschaftlichen Traumata geprägt sind. Harmony of Mindscape ist ein weiteres Projekt von Studierenden des Fachbereichs Kunst der Universität Osnabrück in Zusammenarbeit mit Schüler*innen der Musik und Kunstschule der Stadt Osnabrück und lässt Besucher*innen spüren, wie sie auf bestimmte Reize reagieren und wann sich diese verändern.