Thema

Feelers, Sensors

Feelers, Sensors

Um uns in der Welt zu orientieren, stehen wir empfindend und wahrnehmend mit ihr in Verbindung. Wir tasten sie mit den Sinnen ab, justieren damit auch unsere Nähe zu und Distanz von Anderen. In Filmen, Installationen, Soundarbeiten, Performances und Wortbeiträgen geht der Themenschwerpunkt Feelers, Sensors in diesem Jahr der Frage nach, welche Rolle die sinnliche Wahrnehmung für die menschliche und nichtmenschliche Erfahrung von Welt spielt, und wie ein technologisch erweitertes Sensorium die Orientierung und Interaktion in der Welt verändert, sie anders teil- und mitteilbar macht.

Wir beobachten eine zunehmende Privatisierung von Raum, die sich auch in unserem sinnlichen Bezug zur Welt äußert, etwa wenn wir uns durch Noisecancelling von störenden äußeren Reizen abschotten. Online-Kommunikation, wie auch „smarte“ oder „sensible“ Technologien, verändern die Art und Weise, wie wir über unsere Sinne miteinander in Kontakt treten, und werfen dabei die Frage auf, welche Formen der Inklusion oder Entfremdung sie befördern. Gleichzeitig können Formate im physischen Raum – von Gruppenmeditationen bis hin zu Demonstrationen – sinnliche und emotionale Erfahrungen vergemeinschaften oder organisieren.

Welche Herausforderung bedeutet schließlich auch die Empfindungsfähigkeit anderer Lebewesen für das menschliche Selbstverständnis und die Verantwortung für ihre Lebensräume? Was oder wer wahrgenommen, öffentlich gesehen oder gehört wird, ist eine politische Frage. Wie kann Leid mitteilbar bleiben, das die individuelle Wahrnehmungsfähigkeit übersteigt oder das Sprechen paralysiert? Wie entwickeln wir sensiblere Fühler und gerechtere Sensoren?

Zum Themenschwerpunkt entstehen eine Ausstellung und drei Filmprogramme, die durch weitere Live-Formate wie Performances, Workshops und Gespräche begleitet und interaktiv erweitert werden. Sie sollen als Räume für Begegnung und Austausch dienen.

Statements und Bios der Kuratorinnen

Inga Seidler – Ausstellung

Die Ausstellung beschäftigt sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der Sinneswahrnehmung und den von ihr erschlossenen Umgebungen. Neben den menschlichen Sinnen betrachtet sie auch die Wahrnehmungsfähigkeiten von Pflanzen und Tieren sowie die maschinelle Wahrnehmung. Im Kontext von Künstlicher Intelligenz bezieht sich dieser Begriff auf die Fähigkeit von Computern, sensorische Informationen so aufzunehmen und zu verarbeiten, dass sie der menschlichen Wahrnehmung der Welt ähneln. So werfen die Arbeiten in der Ausstellung insbesondere Fragen dazu auf, welche Rollen Technologie im Zusammenhang von Wahrnehmung, Erleben und Sinnstiftung einnehmen (könnte).

Inga Seidler beschäftigt sich als Kuratorin seit vielen Jahren mit digitaler Kultur und Medienkunst. Zu ihren aktuellen Aktivitäten zählen Ausstellungen und Programme für das EMAF, Kasseler Dokfest und das Goethe Institut. Sie ist Vorstandsmitglied bei anorak e. V. und Teil mehrerer Beratungskomitees und Jurys.

Jamie Crewe - Filmprogramm

In Tell My Horse: Voodoo and Life in Haiti and Jamaica (1938) berichtet die amerikanische Autorin, Anthropologin und Filmemacherin Zora Neale Hurston von Haitianer*innen, die von Guedé „geritten“ werden, einem „Gott des Spotts“. Durch ihren Mund sagt Guedé: „Sag es meinem Pferd,“ und versteigt sich zu spektakulären Beschimpfungen und Handlungen. Seine Pferde äußern Flüche, diffamieren ihre Herrscher, tänzeln und galoppieren, bespritzen ihre Augen mit Rum oder stürzen sich in den Tod. Als Sprachrohr ihres Gottes können sie Dinge sagen und tun, zu denen sie ungeritten nicht in der Lage sind. Der Sprache beraubt finden Menschen oder Pferde – Geist oder Körper – andere Formen des Ausdrucks: kein Schweigen ist von Dauer.

Jamie Crewe ist eine wunderschöne Bronzefigur mit einem polierten Kokottenkopf. Sie wuchs im Peak District in England auf und lebt derzeit in Glasgow, Schottland. Jamie denkt über Einschränkungen nach: über die Art und Weise, wie Menschen durch ihre Kulturen, Umgebungen und Beziehungen geformt werden, und die Dinge, die infolgedessen von ihnen abfallen.

Oraib Toukan – Filmprogramm

Ist dies wirklich der wunderbare palästinensische Dichter und Autor Mahmoud Alshaer, der fragt: “Sagt da mein eigener Mund: Gas, Mehl, Trinkwasser, Waschwasser, Kaffee, Kekse, Qasef, Zananah, Tayarah, Thunfisch, Bohnen, Tasse, Batterie, Internet, Verbinden, Trennen, Ofen, Feuer, Hefe, Salz, Zucker, Matratzen, Laken, Kissen, Teppich?” Schmerz in Echtzeit übertragen. Command–Tab. Schweigen. Fühler, Sensoren––––––von wo aus im Körper sollen wir das ergründen? Von dieser Erde aus, die das Leben lebenswert macht, meint Mahmoud Darwish. „Vom Zögern des April, dem Geruch von Brot in der Morgendämmerung … dem Beginn der Liebe, Moos auf einem Stein”. Dieses Programm stellt das Herz als grundlegendes Sinnesorgan in den Vordergrund – ein Organ, dessen Aufgabe es ist, zu sehen und zu hören. Zu diesem Zweck werden Werke, die sich mit dem Leiden befassen, mit Werken kombiniert, die sich mit dem Verlangen auseinandersetzen. Letztlich werden beide als ein und dasselbe präsentiert.

Oraib Toukan ist Künstlerin, Autorin und Lehrende. Zu ihren Veröffentlichungen zählen das Buch Sundry Modernism (Sternberg Press, 2017) sowie die Filme Via Dolorosa (2021) und When Things Occur (2017). Sie erwarb ihren PhD in Fine Arts an der Oxford University, Ruskin School of Art (2019).

Anna Zett – Filmprogramm

Audiovisuelle Medien verknüpfen Punkte in der eigenen Imagination mit Punkten in der Imagination anderer Menschen. Das Netzwerk aus Wahrnehmungen, Narrativen und Symbolen, das dabei entsteht, ist ebenso wie das Gedächtnis im individuellen Gehirn kein realistisches Abbild der Wirklichkeit. Es ist eine eigene Wirklichkeit – ein sozialer Traum. Welche Rolle spiele ich als Zuschauer*in, wieviel Freiheit wird mir gegeben, mich an dem Prozess dieser Assoziation zu beteiligen? Was passiert mit mir im Moment des Empfangens, was lasse ich zu, was wehre ich ab? Das Programm begreift Filmemachen und Filmezeigen als eine partizipative, poetische Praxis, angetrieben vom Wunsch nach Verbindung und gestützt durch die Überzeugung, dass zwischen einzelnen Empfindungen und Wahrnehmungen immer wieder neu eine gemeinsame Wirklichkeit entsteht.

Anna Zett ist Künstlerin und Autorin. Ihre analytische und emotionale Praxis stellt dominante Strukturen in Frage und schafft Raum für offenen Dialog, eigenes Erleben und freie Assoziation. Daraus entstehen Filme, Bücher, Hörspiele, Installationen und partizipative Live-Formate, die im internationalen Kunstkontext sowie auf Festivals gezeigt werden.